Danyabaad Nepal!
Bericht von Ellen über ihre drei Monate Mitarbeit im Ganesh Disable New Life Center in Kathmandu.
Ein wenig aufgeregt, müde und durchgeschwitzt, da das Kühlwasser für die Klimaanlage im Auto leer war, stieg ich nach 20-stündiger Anreise vor dem „Office“, meinem Zuhause und Arbeitsplatz für die nächsten drei Monate, aus.
Nun war ich also in Nepal. 7000 km weit weg von der Heimat, in einem für mich unbekannten Land, auf einem für mich unbekannten Kontinent.
Aus Angst, direkt in ein kulturelles Fettnäpfchen zu treten, versuchte ich das Verhalten der anderen zu imitieren und mir die „Verhaltenstipps“ für Nepal, die ich noch mal im Flieger durchgegangen bin, ins Gedächtnis zu rufen. Bloß nichts mit links essen, dachte ich (Linkshänderin). Dann gab es auch schon Chow Mein auf silbernen Tellern und mit schwarzem, sehr süßen Tee zum Lunch serviert.
Einige meiner Freunde aus Dortmund waren bereits in Nepal und auch im Ganesh New Life Center als Volontäre gewesen. So kristallisierte sich auf Grundlage vieler interessanter Erzählungen schnell für mich heraus, dass dies nach meiner Ausbildung in der Kinderkrankenpflege eine spannende Möglichkeit sein könnte, nicht nur, mein Reisefieber zu senken, sondern auch meine neu erworbenen Kompetenzen zu erproben.
Meine Nervosität erlosch, als Ayush unerwartet nach meiner Hand griff und mich ins Spielzimmer zog. Er zeigte aufgeregt auf ein Spiel im Regal, ich zog es heraus und wir liessen uns auf dem roten Teppichboden nieder. Dort sitzend spielten wir eine Weile. Er machte mir den Einstieg überraschend leicht.
In den ersten Tagen verbrachte ich viel Zeit damit, die Kinder bei ihren Aktivitäten zu beobachten und erkundigte mich nach deren Hintergründen und Geschichten, um mir zunächst einmal einen ersten Eindruck zu verschaffen. So bekam ich relativ schnell Gefühl für die Strukturen der Einrichtung und später auch die individuellen Bedürfnisse und Interessen der Jungs.
Eine Sprachbarriere gab es, unvermutet, kaum. Raj und Ayush verstanden das meiste englisch Gesprochene, bei den anderen Jungs halfen meist schon Berührungen und alternative Impulse. Da war es manchmal hürdenreicher, den Hausmüttern (Didis) klar zu machen, was mich gerade beschäftigte.
Viele Abende verbrachte ich Dal Bhat essend und Nepal Ice trinkend bei Savitri und deren Familie, die bereits einige Volontäre/-innen aus Deutschland zu Besuch hatten und über die westliche Kultur sehr bewandert waren. Während heiterer Gespräche taten sie ihr Bestes, mir ein Gespür für ihre eigene Kultur und die Geschichte ihres Landes zu geben. Sie gaben mir nützliche Tipps zum Leben und Überleben, planten mit mir meine Reisen, und wann immer Jiten Zeit hatte, zeigte er mir durch Staub und das Verkehrgewusel bretternd, Kathmandu und Umgebung auf seinem Motorrad. Gastfreundschaft, Offenheit, Herzlichkeit- alles Tugenden, die so viele Menschen in Nepal ausstrahlen.
Auch im Office spürte ich diese Mentalität und angenehme Atmosphäre. Vielen Dingen wird mit einer gewissen Leichtigkeit begegnet, und eine positive Grundeinstellung erleichtert das Leben in einer Gesellschaft, die durch ihre Vielfalt und Politik ein großes Konfliktpotenzial besitzt.
Mit viel Liebe, Geduld und Einsatz bietet das GNLC mit all seinen Mitarbeitern ein sicheres Umfeld für ein erfülltes Leben und die Entfaltung jedes Einzelnen.
Als Volontärin gehörten die Suche und Durchführung kreativer, inkludierender Beschäftigungsmöglichkeiten wohl zu den Haupttätigkeiten meiner Arbeit. Oft war es herausfordernd bis unmöglich, tatsächlich eine Sache zu finden, bei dem jeder der Jungen mehr oder weniger aktiv partizipieren konnte. Irgendwann stellte ich jedoch fest, dass ich meine eigenen Erwartungen den tatsächlichen Gegebenheiten anpassen musste, um mit meiner Arbeit zufrieden zu sein. So legte ich meine Aufmerksamkeit zeitweise auf 1:1 Betreuung oder Kleingruppen. Zusätzlich lernte ich viel von Sujata, der Physiotherapeutin, die 3-4x wöchentlich kam, unterstützte die Hausmütter beim Aufräumen oder genoss einen Powernap mit Bartaman nach dem Lunch. Und so verflogen 11 Wochen.
Zurück in Deutschland und auf die Frage: „Wie war Nepal?“, antworte ich nun: „So einiges.“ Es war unfassbar aufregend, zugleich entschleunigend, hat mich an meine körperlichen und mentalen Grenzen gebracht, mir so viel gezeigt, so viel beigebracht und trotzdem viele Fragen offen gelassen. So viele, dass ich wohl noch mal zurückkommen muss, um diese für mich beantworten zu können. Weiterhin beschäftigt mich der Gedanke, dass es wohl ziemlich naiv wäre, die Zeit, die ich in Nepal verbringen durfte, zu glorifizieren. Leicht lässt man sich vom atemberaubenden Himalaya, den bunten Saris in den unübersichtlichen Gassen Kathmandus oder dem kulinarischen Essen blenden.
In diesem Land, so reich an kulturellem Erbe, überwältigender Natur und mit seinen unglaublich vielen Facetten, gibt es noch so viel zu tun, so viele Missstände, die für uns kaum greifbar sind.
Denn unterm Strich sind wir doch immer noch die Touris mit unseren „first world problems“, die nervöse Zuckungen bekommen, wenn das Ladekabel einen Wackelkontakt in der komischen Steckdose hat und die das Ganze von einer anderen Ebene aus betrachten, um dann wieder heim fahren, oder? So dachte ich jedenfalls. Und dann sagte mir jemand: „Ich glaube, ihr geht mit so viel Motivation und Liebe dort hin und helft allein damit schon echt viel.“ Und ja, irgendwie stimmt das auch und irgendwie habe ich ein Stück von mir da gelassen, das jetzt auf mich wartet. Jeder Einzelne, der etwas zu alledem beiträgt, der aktiv etwas tut, hat Bedeutung in diesem Projekt und insgesamt mehr Einfluss als er oder sie denkt.
Jetzt gerade bin ich einfach nur dankbar für all das, was ich erleben durfte, die Begegnungen, die Arbeit, das Wandern und auch die Privilegien, die ich hier, in Deutschland, genieße, und derer ich mir nun bewusster geworden bin. Danyabaad Nepal!
Ellen Osmann, August 2019